Image braucht
Bilder und
Vorbilder
STUDIE
Die Unsichtbaren
Ausgangspunkt unserer Untersuchungen war die Feststellung, dass es nur zwei Gruppen Unternehmer*innen gibt, die in den Medien so häufig auftauchen, dass sie die Relevanzschwelle überwinden: Es sind einerseits die bekannten amerikanischen Tech-Gründer, andererseits die Bösewichte und die Gesichter der Managementskandale. Erst seit kurzer Zeit gibt es eine zunehmende Inszenierung der ganz jungen, frisch gebackenen Start-ups, der Ideenhaber*innen mit ihrem jungen, hippen Szeneumfeld.
Der „normale“ Unternehmer, die „normale“ Unternehmerin taucht nicht wirklich auf. Ihre Sichtbarkeit ist gering. Liegt hier ein Grund für die niedrige Gründungsquote? Gibt es zu wenig sichtbare Vorbilder, die das von den Medien transportierte Bild des Bösewichts kompensieren?
Vor-Bilder, die abschrecken?
Die Wirkung von Vorbildern ist weithin bekannt, erforscht und bewiesen. Professorin Mona Mensmann bestätigt diese immens wichtige Rolle. „Wir wissen, dass Role Models, also Vorbilder, funktionieren. Wir forschen derzeit daran, besser zu verstehen, wie genau diese wirken und wie wir diese Wirkung am besten herstellen können. Ich glaube, dass das ein wichtiger Mechanismus sein kann – auch aus meiner persönlichen Erfahrung heraus.“ Vor dem Zusammenhang wirken die Nennungen der von uns befragten Student*innen und Schüler*innen der ihnen bekannten Unternehmer*innen einigermaßen alarmierend. Der in dieser Studie schon vielfach erwähnte, allgegenwärtige Elon Musk führte die Liste unangefochten an, immer dicht gefolgt von Jeff Bezos und Mark Zuckerberg, Bill Gates oder auch Steve Jobs. Bei allen Beispielen handelt es sich um kaukasische Männer aus dem anglo-eurozentristischen Kulturraum, die in den meisten Fällen auch noch mit einem Nimbus des „superschlauen Überfliegers“ oder sogar „Tech-Genies“ behaftet sind. Frauen als Beispiele für Unternehmer*innen sind ungestützt weder in Fokusgruppen noch in unseren Online-Befragungen genannt worden.
Die Hintergründe und fatalen Auswirkungen dieses Überflieger-Unternehmertypus auf die jungen Generationen untersuchen wir in Kapitel sieben. Fakt ist, dass die Jugendlichen sich mit diesen Persönlichkeiten nicht identifizieren und deren Unternehmertum nicht mit ihrer Lebensrealität in Verbindung bringen: Ein Teilnehmer aus den Schüler*innen-Fokusgruppen beantwortete zunächst alle Fragen hinsichtlich seiner beruflichen Zukunft und ob er sich das Unternehmer-SEIN vorstellen könne, mit „Nein“, um am Ende zu erzählen, dass es sein Plan sei, Automobilkaufmann zu lernen, um dann sein eigenes Autohaus zu eröffnen. Dass er dann ja auch Unternehmer sei, überraschte ihn sichtlich. „Stimmt! – Hab ich noch gar nicht so gesehen.“ Bingo!
„Also wir sind eher unter dem Radar,
was ich dann wieder auch charmant finde.
Ich bleibe lieber ein bisschen im Hintergrund
und ein wenig zurückhaltender. Das ist so
ein gewisses Understatement.
Ich bin lieber ruhig und erfolgreich
als laut und unerfolgreich.“
KEVIN LORENZEN
Mein Großvater hat das Unternehmen gegründet
Von den von uns befragten Unternehmer*innen gaben fast zwei Drittel (62,71 Prozent) an, Vor-bilder im Familien- oder Bekanntenkreis ge-habt zu haben. Mehr als 40 Prozent haben ihre Antwort zusätzlich kommentiert und erläutert, wer diese Vorbilder sind. 87 Prozent der Kommentator*innen erklärten, dass ihre Vorbilder in der Familie (häufig Eltern- und Großelterngeneration) zu finden seien. So weit, so wenig erstaunlich, würde man denken. Deutschland ist ein Land mit einer ausgeprägten Familienunternehmenstradition – sie bilden das Rückgrat der Wirtschaft.
Überraschend dabei ist, dass dieselben Umfrageteilnehmenden das Fehlen nahbarer Vorbilder gar nicht als ausschlaggebend ansehen für Deutschlands niedrige Gründungsquoten, die durch das schlechte Ranking im Global Entrepreneurship Monitor 2021 deutlich werden, oder das Unternehmensnachfolgeproblem. Nur knapp 27 Prozent der unternehmerisch Aktiven finden „Es gibt zu wenig nahbare Vorbilder“. Die niedrige Zahl erklärt sich, weil die Unternehmer*innen selbst an Vorbildern keinen Mangel hatten.
Vorbilder müssen erreichbar sein
Trotzdem wünschen sie sich nahbare, „normale“, „realistische“ Vorbilder und Beispiele für Unternehmer*innen. Im Schulunterricht müsse das schon vermittelt werden – sowohl die Bedeutung von Unternehmertum als auch die realistische Berufswahlmöglichkeit des Unternehmers oder der Unternehmerin, inklusive des Ausprobierens in Schülerfirmen, Schnupperkursen in den Firmen, Bachelorarbeiten für Studierende etc. pp.
An Ideen mangelt es nicht – allein es bleibt die Frage, warum bisher so wenig davon umgesetzt wird. Alle Seiten können die Problematik benennen, jedoch fühlt sich niemand wirklich zuständig, ins Rampenlicht zu treten und als nahbares Vorbild voranzugehen. Wem gehört an dieser Stelle die Schirmherrschaft über eine positivere Imagebildung und die unternehmerische Erziehung von jungen Generationen, Medien und Politik? Wer setzt sich hier den Hut auf? Viele Unternehmer*innen in Deutschland sehen sich eher nicht in der Verantwortung – ein Umstand, den wir auch bei der Ansprache von Gesprächspartner*innen für unsere Studie gemerkt haben. Da hieß es einige Male „So was machen wir grundsätzlich nicht“.
„Ich habe in der Oberstufe
an einer mehrtägigen Unternehmenssimulation
teilnehmen können, MIG (Management Information Game) hieß das. Jeder Tag war ein neues Geschäftsjahr, in dem neue Markteinflüsse von der Spielleiterin eingeworfen wurden, auf die wir reagieren mussten. Eine eigene Strategie für ein Unternehmen zu entwickeln aber dann immer wieder
auf neue Umstände reagieren zu müssen, hat mir
damals schon viel Spaß gemacht.“
IVO STRASSENBURG
Vorbilder müssen relevant für die Menschen sein, die man erreichen will
Zielgruppenrelevanz ist das oberste Gebot für alle Kommunikationstreibende, ganz besonders in Zeiten stetig weiter abnehmender Aufmerksamkeitsspannen. Wir brauchen neue Bilder von Unternehmer*innen in den Köpfen. Wer oder was sind denn heutzutage Unternehmer*innen, wie sehen die aus und was machen die? Wenn wir die Vorbilderschaft realistischer gestalten wollen, gehören nicht nur mittelständische Familienunternehmer*innen oder die klassischen ingenieurgetriebenen Technik-Hidden-Champions aus Süddeutschland in die Gruppe, sondern auch von gestandenen Unternehmerpersönlichkeiten mitunter belächelte Personen wie Kylie Jenner, Caro Daur oder Younes Zarou.
Denn zum einen sind Influencer*innen ebenfalls Unternehmer*innen, werden aber als solche nie wirklich klassifiziert. Zum anderen sind auch Make-up- oder Schmuck-Unternehmen mit einem zunächst reinen Online-Vertrieb über die Social-Media-Plattformen völlig valide Formen von Unternehmertum im 21. Jahrhundert. Der Weg in die Relevanzzone junger Leute führt über die entsprechenden Medienkanäle und Persönlichkeiten.
Das Unternehmertum in Deutschland braucht bessere Storys
Eine bessere Verpackung. Einen besseren Anwalt oder eine bessere Anwältin. Mit unserer Studie und den darin vorgestellten Portraits von ganz unterschiedlichen Unternehmern und Unternehmerinnen wollen wir einen Anfang wagen und die Bandbreite und die vielschichtigen Möglichkeiten unternehmerischer Tätigkeiten aufzeigen.