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Unternehmen wir etwas gegen das Aussterben des Unternehmergeists 

unternehmen Vb. ‘beginnen, betreiben, machen’
(16. Jh., geläufig seit 18. Jh.); vgl. ahd. untarneman ‘unterbrechen, dazwischentreten’ (10.h.), mhd. undernemen‘ abschneiden, unterbrechen, verhindern, wegnehmen’, reflexiv ‘sich gegenseitig fassen, sich jmds. annehmen, etw. übernehmen, antreten’; Unternehmen n. ‘was unternommen wird, Vorhaben, Absicht’ (Anfang 17. Jh.), auch ‘wirtschaftliche Unternehmung, Betrieb’ (18. Jh.), dazu Unternehmer m. ‘wer einen Gewerbe- oder Industriebetrieb besitzt (und leitet)’ (18. Jh.), nach engl. undertaker, frz. entrepreneur; älter allgemein ‘wer etw. in die Wege leitet’ (Ende 17. Jh.). https://www.dwds.de/wb/etymwb/unternehmen 

STUDIE

Die Unaussprechlichen

Darauf waren wir nicht gefasst: Dass nicht nur den Nicht-Unternehmer*innen der
Begriff „des Unternehmers“ nicht positiv konnotiert ist, sondern gerade auch die jüngeren – aus unserer Sicht – Unternehmer*innen sich gar nicht so nennen möchten. Die ersten Interviews wiesen auf starke Entfremdung von diesem Begriff, dessen Inhalt, dessen Image wir untersuchen wollten, hin, gerade bei denjenigen, die dieses Wort bezeichnen sollte. 

 

Worte schaffen Wirklichkeit. 

Nur was wir in Worte fassen, was wir benennen können, können wir auch wahrnehmen, können wir nur sein. Deshalb ist es grundlegend, die Sprache unserer Gesellschaft zum Thema Unternehmertum anzusehen und zu schauen, was da passiert. In unserer Sprache verschwinden Worte dann, wenn es den bezeichneten Inhalt/Sachverhalt/Gegenstand nicht mehr gibt. Das ist so beim Walkman oder beim Videorekorder. Schon zu Beginn unserer Untersuchungen war aufgefallen, dass der Begriff „Unternehmer“ viel Konkurrenz bekommen hat in den vergangenen Jahren und entsprechend selbst immer weniger auftaucht.

 

Der Unternehmerbegriff wird ausgehöhlt

Die neue begriffliche Vielfalt könnte man auch als eine positive Entwicklung sehen, hin zu mehr Vielfalt im Unternehmer*innenbild. Tatsächlich aber konnten wir eine andere Entwicklung feststellen: Sowohl mit Synonymen oder anderen Begriffen mit leicht abweichender Bedeutung als auch mit Begriffszusätzen wird dem klassischen Unternehmerbegriff nach und nach seine umfassende und überbegriffliche Bedeutung entzogen. Das dahinterstehende Ziel, sich von Negativ-Konnotationen mit dem Wort „Unternehmer“ zu distanzieren, wird konterkariert durch eine stetige Aushöhlung des Wortes um alle seine positiven Inhalte. So ist der Begriff des Verantwortungs-Unternehmers eine klare Abgrenzung zum Normal-Unternehmer, dem dann entsprechend die Verantwortung abgeht. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff Social Entrepreneur, der dem klassischen Unternehmer-Begriff den sozialen Inhalt entzieht.  

Dem Unternehmerbegriff wird das Zukunftsweisende geraubt

Im deutschen Sprachgebrauch, zumindest bei den Menschen, die der Generation Y und jünger zuzurechnen sind, hat eine Bedeutungsverschiebung des Unternehmerbegriffs in Richtung des/der Gründers*in stattgefunden. Das belegen auch die ungestützten Nennungen bekannter Unternehmer*innen in den Befragungen. Hier findet sich über alle Alters- und Berufsgruppen der ultimative Vertreter (hier wird bewusst nur die männliche Form des Wortes eingesetzt, da Frauen nur sehr selten genannt wurden) des amerikanischen Tech-Gründers am häufigsten wieder: Elon Musk. Derzeit das Maß der Dinge in Sachen unternehmerische Tätigkeit mit einem ganz großen Bedeutungsanteil des Innovators, also im Prinzip deckungsgleich mit dem Schumpeter’schen Unternehmerbegriff.

 

In Wissenschaft und Lehre wird der Bedeutungsanteil des Innovators dem Wort Entrepreneur gewidmet. Der Normal-Unternehmer an sich erschafft nichts Neues, so können wir es lesen und bestätigen es auch unsere Interviews mit Professor*innen im Studiengang Entrepreneurship. Aus den Ergebnissen unserer Befragungen lässt sich dieser Bedeutungswandel sehr gut ablesen. Die befragten Student*innen und Schüler*innen unterscheiden in der Bedeutungszuweisung klar zwischen einem verwaltenden, leitenden Unternehmer*innenbegriff und dem Begriff des/der Gründers*in, dem sie die innovierende und schöpferische Kompetenz zuschreiben. Jemand, der gründet, der/die schafft etwas Neues, der/die hat eine Idee, für die er/sie brennt. Kein Wunder, dass niemand, der sich selbst für innovativ und zukunftsgewandt hält, sich freiwillig als Unternehmer*in bezeichnen möchte! (Wir verzichten hier auf eine ausführliche Gegenüberstellung der beiden Begriffe und verweisen auf Faltins Entrepreneur-Handbuch.)

Mehr und mehr geht dem Begriff „Unternehmer*in“ das zukunftsweisende Bedeutungselement verloren. Den gleichen Bedeutungsschwund kann man auch für die gesellschaftlich-sozialen Aspekte im Unternehmer*inbegriff attestieren. 

Start

 „Mich selbst Unternehmer
zu nennen, ist mir unangenehm,
weil es großkotzig klingt
und eine Verbindung zu vielen
Personenkreisen herstellt,
die ich nicht möchte.“

HENRIK BRAUNE

Unternehmer*in, Arbeitgeber*in, Gründer*in, Entrepreneur, Social Entrepreneur, Industriekapitän, Start-up, Selbstständige*r, Inhaber*in, Verantwortungsunternehmer*in, Macher*in, Founder, Investor*in, Manager*in, Boss, Heuschrecke, Kapitalist

Die zunehmende Fragmentierung des  Unternehmerbegriffs zeigt sich in der Aufsplittung in die vielen unterschiedlichen Begriffe, die im derzeitigen Unternehmer*innen-Diskurs umherschwirren.

So wie der Begriff des/der Unternehmers*in sich zunehmend in Fragmentierungsströmungen verliert, so zerfällt auch das Bild dieser beruflichen Perspektive und Form der Erwerbstätigkeit. Je fragmentierter, je weniger greifbar und vorstellbar wird damit das Unternehmer*innen-SEIN. Die unternehmerische Wirklichkeit schwindet mit ihrer Repräsentation in der Sprache. 

Mit dem Verfall des Wortes Unternehmer verschwindet auch die Realität des Unternehmer*in-SEINS.

Alle wissenschaftlich sicher relevanten Differenzierungsversuche mit den dazugehörenden neuen Fachtermini sowie eine einseitige Berichterstattung, wie wir sie im Kapitel Medien erläutern, die sich auf Start-ups und abgehobene Vorbilder aus der amerikanischen Tech-Gründer-Klasse fokussieren, lassen für potenzielle Gründer*innen ohne familiäre Vorbildung das Unternehmertum als Perspektive unwirklich und realitätsfern erscheinen: Denn Worte schaffen Wirklichkeit. 

 

In Unternehmen folgt man nicht als Gründer*in, sondern als Unternehmer*in nach

Es mag eine steile These sein, aber aus Sicht der Neurolinguistik und mit der Expertise von Markenstrategen lässt sich sagen, dass die stetige Aushöhlung des Begriffs „Unternehmer“ und seine Substituierung durch viele verschiedene Begriffe mit Sicherheit ein Grund für den schlechten Platz Deutschlands beim Global Entrepreneurship Monitor ist. Insbesondere für die alarmierende Nachfolger*innen-Mangel-Situation der 150.000 Unternehmen in Deutschland ist das gravierend. 

„Unternehmer*innen werden gebraucht, um die Welt zum Guten zu verändern.“

Sara Boukal

Laden wir das alte Wort neu auf!

Tatsächlich kommen ja immer mal wieder alte Worte zurück. Der Begriff „Ehrenmann“, der es zum Jugendwort des Jahres 2019 geschafft hat zum Beispiel. Er wurde neu aufgeladen. Je mehr Unternehmer*innen sich selbst so nennen und Multiplikatoren sie auch so bezeichnen, je mehr unternehmerische Wirklichkeit wird sichtbar. Sara Boukal, Social Entrepreneur und Kulturwissenschaftlerin: „Ich glaube, dass es darum geht: Welche Geschichten erzählen wir über Veränderung?“ Sie ist davon überzeugt, dass Unternehmer*innen gebraucht werden, um die Welt zum Guten zu verändern. Nicht nur im Bereich der gesellschaftlichen Innovationen sondern gerade auch beim Thema Klimawandelanpassung, wo gute Ideen und deshalb auch neue Unternehmer*innen gebraucht werden. Sie erlebt in ihrer Beratungspraxis für angehende Gründerinnen, dass Menschen dann gründen, wenn sie von Geschichten anderer Unternehmer*innen inspiriert und ermutigt werden.   

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